In 200 Tagen von Ostasien nach Europa
15000 Seemeilen war das Ludwigshafener Künstlerehepaar Eugen und Hilde Roth unterwegs. Für die Leser der Neuen LU berichten die beiden Ludwigshafener über ihre abenteuerliche Reise mit dem Segelboot "EURO"/DLLM.
Künstler, so sagt man, sind oft ein bisschen verrückt. Waren wir es auch? Nun, ein Jahr zuvor, im National-Museum von Taiwan, waren wir fasziniert von der Kunst Chinas. Die Technikfeindlichkeit in Europa - auch in der Kunst - beunruhigte uns. Abstand war notwendig. Und dies auf eine ungewöhnliche Art. 20. Januar: Wir treffen in Taipei ein. Der Segler liegt im Fluss und erwartet uns.
In zehn Tagen beginnt das Abenteuer. Proviant für mehrere Wochen, 1,3 t Wasser, Medikamente für alle Fälle, alles an Bord gestaut. Laut Seehandbuch sind für den Januar, seit 30 Jahren gemessen, 18-20°C und Windstärken 3–4 bfr. verzeichnet. Die Realität: Nur 4–6°C, Wind 6–9 bfr., NO-Monsun. Chinesische Daunenanzüge machen´s erträglicher. 2. Februar: Ausklarieren; die chinesischen Beamten sind überaus höflich. Wir starten – Formosastraße, Ziel Hongkong. Nur mit Sturmfock und Besansegel erreicht die "EURO" acht Knoten Fahrt. Wind 7–9–10 bfr., Regen. Der Nordostwind heult im Rigg, die See brüllt uns an. Tagesetmal 197 sm. Kälte und Nässe setzen der Crew sehr zu.
Da – in der Macht ein offenes Feuer auf hoher See – Seenotfall? Weiße Leuchtkugeln klären: Piraten wollten uns in eine Falle locken. Ein Funkbericht an Hongkong-Radio wird abgesetzt. Nach fünf harten Tagen und Nächten liegen wir geborgen im Taifun-Shelter von HK (Hongkong). Das deutsche Konsulat hilft uns sehr. Drei Tage später scheint die Sonne, so wie´s im Seehandbuch steht. Telex aus Deutschland: "Kommt zurück, gefährliche Situation im Persischen Golf." Interessant, wir sehen diese Gefahr für uns nicht: "Von Hongkong sieht die Welt anders aus". – Neue Menschen, neue Freunde, viel Verabschieden.
Nach sieben Wochen HK müssen wir weiter, durch´s Südchinesische Meer nach Singapur. Stetig weht der NO-Monsun 6–7 bfr. Machen gute Fahrt. Das 28t Schiff rauscht nur so dahin. Alles läuft bestens. Nur Paul und Peter liegen angeseilt mit Lifebelts am Achterdeck – seekrank! Nach vier Tagen ist wieder alles o.k. Nur noch 3° nördl. vom Äquator: 38°C, die "EURO" liegt vor Anker auf der Leeseite der Palmeninsel Mubur. Ringsum wie im Südseereiseprospekt, unter uns die schönsten Korallen. Wir saugen den Zauber der Insel in uns auf. "NOOTKA", die kanadische Yacht, trifft gleichzeitig mit uns ein; sie kommt von Manila, wir hatten guten Funkkontakt, werden gemeinsam weitersegeln.
Singapur, Keppelhafen, fast am Äquator, noch heißer. Bei der Ansteuerung in der Nacht viel Schiffsverkehr, das Radar hilft uns sehr. Einige Ruhetage, dann Einlaufen in die Malakkastraße, zwischen Malaysia und Sumatra. Tropischer Gewitterregen in der Nacht, der Rudergänger sieht nicht mehr den Kompass, so gewaltig sind die Regenmassen. Nordspitze von Sumatra, die Insel Wé vor uns, nach sechs Tagen. Ankern im Hafen Sabang, Einklarieren. Kokosnüsse, Ananas Dosenproviant, Wasser und Treibstoff werden übernommen. Die Umgebung voll fremdem Zauber; unter Wasser die buntesten Fische, eine Wunderwelt die Korallenlandschaft.
Der Indische Ozean erwartet uns mit leichtem NO-Monsun. 140qm Segel bringen 7,5 kn Fahrt ins Schiff. Jeder Sonnenuntergang ein neues, unvergessliches Spiel von Farben und Wolkenbildern. Hilde macht Aufnahmen vom kanadischen Boot aus. Unser Bug durchschneidet das goldrote Meer. Wie stark diese Bilder in unserem "Merkspeicher" sitzen, spüren wir erst heute. Es war kein Traum, es war Wirklichkeit, wir sind dankbar. Port Galle, Südküste von Sri Lanka: Andere Farben, andere Menschen, die Anmut der Gewürzinsel umgibt uns. Südwest-Monsun setzt zeitweise schon ein. Das drängt uns zur Eile. Wir müssen weiter nach Westen, Afrika entgegen.
Der indische Ozean hat uns wieder. 275° am Kompass, 2000 Seemeilen voraus nur Wasser, Wasser. 2–3 mal am Tag wird die Sonnenhöhe "geschossen" und damit die Standlinie berechnet; wo diese sich in der Seekarte kreuzen, ist unsere Position; Routinearbeit, es macht Spaß. Die Kanadier rufen herüber: "EUROs schaut nach eurer Angel!" Welche Überraschung, wir ziehen einen schönen Bonito (gehört zu der Familie der Thunfische) an Deck. Viele Fische landen an Deck und in der Pfanne. Wale sprühen ihre Fontänen. Die Delphine, unsere treuen Begleiter, wie elegant sie springen – welch vollkommene Form ihrer Körper! Ermüdete Vögel sind nachts unsere Gäste. Die Spannung wächst – nach unserer Position müssen wir bald das Horn von Afrika sehen, Kap Guardafui. Da – es liegt vor uns im Dunst, 20 sm entfernt.
Nach 24 Tagen ab Sri Lanka laufen wir Djibouti an, Alula und Bosasa waren Zwischenstationen an der Küste von Somalia. Ankersetzen, gelbe Flagge Q, Einklarien, Landgang. Staubig die Stadt, seit Monaten kein Regen. Wir benötigen Wasser, nach drei Tagen Warten fließt es in unsere Tanks. Das Quantum an Wasserentkeimungsmittel wird erhöht. Unsere kanadischen Begleiter liegen neben uns. Gemeinsam segeln wir ab. Bab el Mandeb, das "Tor der Tränen" durchsegeln wir bei Nacht. Viel Schiffsverkehr in dieser engen Wasserstraße. Die Insel Perim liegt hinter uns, wir sind im Roten Meer. Aufatmen unter der Mannschaft: "Die Piraten aus dem Jemen haben wir hinter uns"!
Logbuch: 26. Mai, 15.45, Uhr, Hanish-Inseln erreicht. Plötzlich Kanonenschüsse, Mündungsfeuer genau von achtern, aus ca. zwei sm Entfernung. Wasserfontänen durch die Einschläge, nur fünf m vom Rumpf der Schiffe. Unsere roten Fallschirmraketen steigen 300 m hoch; wir rufen Mayday über den Notrufkanal. Alles läuft, als hätten wir dies schon hundertmal geübt. Funkkontakt mit der englischen Navy und zwei deutschen Frachtern. Die englische Marine gibt uns eine genaue Beschreibung der Äthiopischen Militär-Piraten: P 203 ENS 20, Kanonenboot SQARDRO. Auch sie hören über Funk mit, stellen ihr Schießen ein; damit haben sie nicht gerechnet. Grimmig halten zwölf Soldaten ihre Maschinenpistolen auf uns gerichtet, während sie uns in 15 m Abstand mit full speed überholen und durch Querstellen uns stoppen. Aufforderung über Megaphon: Kein Funk, keine Notsignale, keine Fotos, alle Personen an Deck, beide Kapitäne sollen an Bord kommen. NOOTKA-Kapitän Glen steigt über, ich verweigere, zeige meine Beinprothese, von P 203 kommt kein Widerspruch, nur die Waffen bleiben weiter auf uns gerichtet. 16.10 Uhr, das Verhör ist beendet, Glen schwimmt zurück an sein Boot. Unbemerkt mache ich Aufnahmen, versteckt aus dem Bullauge unter Deck. Die Äthiopier ziehen ab. Wir melden den Vorfall über Funk "an alle Seefunkstellen". Doch was ist mit uns? Wir zittern in den Knien. Weiter nördlich, vor Anker in einer Bucht der Insel Centr-Peak feiern wir unser aller "Geburtstag" mit Forster Spätlese, noch aus Hongkong.
Am 31.5., Uhrzeit 04.20, Einlaufen nach Djedda. Um uns sitzen große Schiffe, gestrandet auf den Korallenriffen. Anweisung von Djedda-Radio: Stoppen, Frachter passieren lassen, ihm dann folgen. Doch Frachter läuft 500 m hinter uns auf´s Riff. Djedda-Radio: Weiterlaufen. Gesundheitsdoktor kommt an Bord. Er hat einen Koffer voller Spritzen. Wir zeigen ihm Impfpässe und die Bordapotheke. Er staunt. Keine Arbeit für ihn. Heiß, heiß, staubig, so die Erinnerung an Djedda – und nicht ohne Abenteuer. NW-Wind steht uns entgegen, Kreuzen nicht möglich, zu viel Schiffsverkehr. Die 120 PS müssen herhalten. Wir kommen vorwärts, doch eingesalzen wie Heringe.
Ankern in Suez, Manager an Bord, Vorbereitung der Papiere für die Kanalpassage. Autofahrt nach Kairo. Museum. Welche Fülle ägyptischer Plastiken, vieles noch nie veröffentlicht! Wir sind wie erschlagen und bewundern alles mit großem Staunen; schön, daß uns niemand beim Anfassen stört. Kairo, die Stadt, die Moschee, alles faszinierend. Wir sind allein bei den Pyramiden – liegt es an der Jahreszeit?
Die Fahrt durch den Suezkanal geht glatt: Ägyptischer "Bruder" ("Prinz of the Red Sea") organisiert alles. Er handelt, doch ich habe schnell gelernt, bin "ebenbürtiger Partner", voll akzeptiert, wir werden "Brüder". Port Said, letzte Station in Afrika. Wieder im Mittelmeer, Kurs Rhodos. Mich friert, Daunenjacke an, wie kalt ist es hier? 22° C. Wir spüren, wir kommen wieder nach Europa. Die Entfernungen sind anders, alles näher beieinander. Paul hisst die griechische Gastflagge und das gelbe Q. Einklarieren in Rhodos; dann ein Kreuzschlag zur türkische Küste. Schönes Segeln quer durch die Ägäis. Umrunden den Peleponnes, Ithaka, Korfu.
Wir verfehlen unser Ziel nicht wie Odysseus, er hatte es auch schwerer. Othonoi, die Insel mit den schönsten Steinen. Unser Ziel: Weiter nach Norden mit 25 sm Abstand zu Albanien. Hercegnovi: unser Port of entry in Jugoslawien, – "heimisches Gewässer", vertrautes Meer. Wieder packt uns die strenge Schönheit dieser Küste. Ihr entlang erreichen wir Italien. Alle sind glücklich über den Verlauf der langen Reise. Sie ist eine Zeitmarke in unserem Leben geworden: vor und nach der Reise. Wir würden es wieder tun. Unseren Kontinent Europa erleben wir anders – wir lieben ihn noch mehr.
Hilde und Eugen Roth in"neue Lu" 3/1982